Der Verschollene
Der Verschollene

Der Verschollene

Mit Illustrationen von Karel Hruška und einem Nachwort zur Entstehung und Wirkung des Werkes von Anthony Northey
  • 13 x 21 cm, 320 Seiten
  • Deckenband, Fadenheftung, Schutzumschlag, Lesebändchen
  • ISBN 978-3-89919-166-0
  • Vergriffen
Erhältlich in
€ 14,90 (D)€ 15,40 (Ö)

„Die Geschichte, die ich schreibe, und die allerdings ins Endlose angelegt ist, heißt [...] Der Verschollene und handelt ausschließlich in den Vereinigten Staaten von Nordamerika“, schrieb Franz Kafka an seine Geliebte Felice Bauer. Ins Endlose angelegt war die Geschichte des Karl Roßmann, den seine Eltern aus der böhmischen Heimat in die Neue Welt verbannt haben, allerdings: Ankeinem seiner drei Romane hat Kafka länger gearbeitet als an diesem. Dennoch ist er ein Torso geblieben. Die Städte und Landschaften Amerikas kannte der Prager Jurist Franz Kafka nur aus Vorführungen der Lichtspieltheater, aus Reiseberichten und von den Erzählungen seiner weitverzweigten Verwandtschaft. Die Geschichte des Verschollenen Karl Roßmann ist kein Auswanderungsroman. Sie ist ein Fall. Ein endloser Fall in eine Welt ohne Boden.

Inhalt Inhalt

♦ Der Heizer
♦ Der Onkel
♦ Ein Landhaus bei New York
♦ Der Marsch nach Ramses
♦ Im Hotel occidental
♦ Der Fall Robinson
♦ Es muflte wohl eine entlegene
♦ „Auf! Auf!“ rief Robinson

♦ Fragmente

♦ Ausreise Bruneldas
♦ Karl sah an einer Straflenecke
♦ Sie fuhren zwei Tage

♦ Nachwort

Pressestimmen Pressestimmen

Franz Kafka - Verschollen in Amerika

"Der Verschollene" ist der ursprüngliche Arbeitstitel, den Franz Kafka (1883-1924) seinem unter dem Namen "Amerika" erstmals 1927 erschienen Romanfragment gegeben hatte. Herausgeber Max Brod und Verleger Kurt Wolff vermuteten, der Titel "Amerika" würde sich besser verkaufen als "Der Verschollene". Einzig das Kapitel "Der Heizer" wurde noch zu Lebzeiten Kafkas, 1913, veröffentlicht. Kafka arbeitete 1912 gleichzeitig auch an seinem Werk "Prozess" sowie an Erzählungen wie "In der Strafkolonie" und widmete sich dann erst 1914 nochmals dem "Verschollenen", in dem es um den Auswanderer Karl Roßmann geht, der von seinen Eltern aufgrund einer unehelichen Schwangerschaft in die Neue Welt geschickt wird, um dort sein Glück zu versuchen.

Neue Welt, alte Probleme

Gleich einem modernen Simplicissimus muss der erst 16-jährige Karl aber erfahren, dass auch im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" nicht alles Gold ist, was glänzt. Schon auf der Überfahrt gerät er - ob seiner Naivität - in die Fänge des Heizers, den er sogleich gegenüber dem Kapitän verteidigt, um bessere Arbeitsbedingungen für jenen herbeizureden. In dieser Situation rettet ihn wiederum der Staatsrat Edward Jakob, sein Onkel, der ihm widerwillig auch den Besuch in einem amerikanischen Landhaus, bei Jakobs Freund Pollunder und seiner Tochter ermöglicht. Doch alsbald wird Karl wiederum von dessen Tochter Klara Pollunder beinahe ebenso schroff vergewaltigt wie zuvor schon in Europa von der Bediensteten seiner Eltern. Karl erlebt also beinahe dieselbe Situation, wobei "Vergewaltigung" hier durchaus auch metaphorisch zu verstehen ist. Schon der kleine Franz Kafka litt unter der physischen Gewalt des Vaters und dieser autobiographische Umstand könnte hier durchaus auch für Karl Roßmann, seine Romanfigur, gelten. So anders ist die Neue Welt also gar nicht.

Leibeigenschaft im Land der Freiheit

Meisterhaft weist Franz Kafka in der Rolle des Karl Roßmann nach, dass auch sein Herbergsgeber, Herr Pollunder und Herr Green dafür sorgen, dass es zu keiner Versöhnung mit seinem Onkel mehr kommen kann. Denn sie halten Karl solange fest, bis ein Schriftstück seines Onkels ihm tatsächlich erst nach Mitternacht zugestellt werden kann, dabei hätte Karl längst vorher schon den Aufenthalt im Landhaus abbrechen und zu seinem Onkel zurück kehren wollen. Die Beklemmung und Entfremdung Karls in der Neuen Welt werden auch durch seine beiden neuen "Freunde", Robinson und Delamarche symbolisiert, die ihn nach Strich und Faden ausnutzen, selbst als sie ihm später dann tatsächlich eine Stelle bei der Opernsängerin Brunelda besorgen. Mit durchaus witzigen und humorvollen Worten beschreibt Kafka die Absurdität, in der sich Karl Roßmann befindet, wenn er immer wieder neu seine Freiheit wählt und dennoch von den Umständen immer wieder neu gebunden wird. Die Lebensumstände in der Neuen Welt, Amerika, münden schließlich in eine neue Leibeigenschaft, die in Europa längst abgeschafft wurde, als nämlich Karl zum Diener der Brunelda wird und von seinen "Freunden" Robinson und Delamarche ebendort festgehalten wird.

"Negro, ein europäischer Mittelschüler"

Erst im zweiten (unvollendeten) Teil von "Der Verschollene" wird er dann aber doch "frei" sein und eine Stelle als Schauspieler resp. technischer Arbeiter beim Theater von Oklahoma bekommen. Karl gibt sich dort den Namen Negro und so lautet seine Qualifikationsbeschreibung: "Negro, ein europäischer Mittelschüler".

Mit beißender Ironie erzählt Franz Kafka von den Hoffnungen und Versprechungen der Neuen Welt und ihren Enttäuschungen. Die durchwegs liebevoll gestaltete Ausgabe des Vitalis Verlages hält sich bei der Herausgebe des Textes übrigens an die Handschrift des Autors "in ihrem letzten erkennbaren Zustand". Kafkas unregelmäßige Interpunktion und ungewöhnliche Orthographie wurden beibehalten. Auf von Kafka gestrichene Textpassagen wurde verzichtet, dafür wurden aber alle Kapitelfragmente abgedruckt. Im Anhang befindet sich ein lesenswertes Nachwort, das mit vielen Fotos und Einblicken in die damalige Alte und Neue Welt glänzt. Die Illustrationen während des Haupttextes stammen von Karel Hruška. Ein Werk, das man gelesen haben muss und das auch viele andere Autoren beeinflusst hat.

Juergen Weber, Rezensionen.ch

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