Paul Leppin

1878–1945

Ich bin am 27. November 1878 in Prag geboren. Die poetisch verrauchte Luft der Jahrhundertneige, Glanzzeit und Abstieg eines bürgerlichen Liberalismus umwoben meine Kindheit. Mein Vater, der aus dem deutsch-böhmischen Grenzstädtchen Friedland stammte, hatte zuerst als Uhrmachergeselle die Welt durchwandert, dann sechs Jahre lang als Soldat in Ungarn gedient und schließlich in Prag seine Jugendliebe, eine Tochter des Friedländer Stadtsekretärs, geheiratet. Ich besuchte acht Klassen des deutschen Gymnasiums in der Stefansgasse, und diese halbdunkel umwölkten Schuljahre mit Knabenstreichen und Prüfungsängsten geistern noch heute manchmal durch meine Träume. Nach der Matura trat ich in den Staatsdienst ein. Unversehens geriet ich eines Tages in den überschäumenden Wirbel einer Boheme, die damals die Prager Nächte unsicher machte. Sturm und Drang so erworbener Erlebnisse führten mich endgültig zur Literatur, der ich schon früher, als halbwüchsiger Adept, sehnsüchtig verfallen war. 1901 erschien mein erstes Buch, die Legende Türen des Lebens, dem bald ein Versbändchen Glocken, die im Dunkeln rufen folgte, das in Köln am Rhein mit Bildern von Hugo Steiner-Prag in luxuriösem Gewande herauskam. Mein Roman Daniel Jesus im Berliner Magazin-Verlag brachte Beifall und Widerspruch. Fazit und Gewinn dieser Periode waren die Freundschaft mit Alexander Moissi, Gustav Meyrink und seinem Kreis, mit Richard Dehmel und der Lasker-Schüler.

In der Folge hat mich der verführerische Hauch eines wirklichen Erfolges mehrmals aus nächster Nähe berührt. Das war zum Beispiel, als der Leipziger Kurt-Wolff-Verlag meine bei verschiedenen Verlagshäusern verstreuten Publikationen in der Reihe seiner Gelben Bücher als Gesamt-Ausgabe drucken wollte, was damals Geld, Ansehn und Publikumsruf bedeutet hätte. Es ist nichts daraus geworden. – „Irgendein Trottel von Lektor war Schuld daran“, schrieb mir später Meyrink aus seiner Klause am Starnberger See in einem verärgerten Briefe. Dann war es Barnowski, der meine Komödie Der blaue Zirkus auf der Bühne des Lessingtheaters spielen wollte, für einen deutschen Autor ein unerhörter Glücksfall. Schon war mir der Vertragsentwurf zur Genehmigung zugegangen, und ich harrte des Telegramms meines Theater-Agenten Hoffmann & Campe in Berlin, das fällig war, sobald der Kontrakt perfekt würde. In letzter Stunde scheiterte die Sache an dem schwierigen Format der weiblichen Hauptrolle, für die keine passende Darstellerin aufzutreiben war. Das Stück wurde nachher in der Prager „Kleinen Bühne“ unter der Direktion Leopold Kramers uraufgeführt. So ist meinem Wirken nur der Respekt in Literaturkreisen, gelegentliche Aufmerksamkeit im Auslande und die Anerkennung der engeren Heimat beschieden geblieben. Meine besten Bücher sind nach meinem Gefühl Der Berg der Erlösung (bei Oesterheld & Co. in Berlin), die Prager Romane Severins Gang in die Finsternis (Delphin-Verlag, München) und Hüter der Freude (Deutsch-Österreichischer Verlag in Wien).

Mein Ruhm als Spaßmacher und ungekrönter König der Prager Boheme ist mittlerweile verflogen. Als ich vor seiner allzu zudringlichen Pracht vor drei Jahrzehnten in den Hafen der Ehe flüchtete, begann sein Glanz zu verblassen. Die Kumpane, die ich in Jünglingsnächten gewann, der wundervolle Rausch ihres ekstatischen Tempos, sind bei Entstehung meiner ersten Bücher Pate gestanden. Mein tiefstes Erlebnis ist Prag geblieben. Sein Zwiespalt, sein Geheimnis, seine rattenfängerische Schönheit haben meinen dichterischen Versuchen immer aufs neue Antrieb und Inhalt gegeben. Ein Schauspiel Der Enkel des Golem, das in die Atmosphäre der alten Stadt mystisch getaucht war, ist 1934 in Prag und Brünn gespielt worden. Im selben Jahre ist mir anläßlich der 175. Wiederkehr des Geburtstages Friedrich Schillers von den literarischen Vereinen Prags in Gemeinschaft mit der Schillerstiftung der Schiller-Gedächtnispreis verliehen worden. Den Erinnerungen, die mich mit Prag verknüpfen, den Gestalten und Landschaften einer inbrünstig verbrachten Jugend, habe ich in dem Prosabändchen Frühling um 1900 ein Denkmal gesetzt, das vor Jahresfrist im Verlage der Deutschen Buchgemeinde, Prag-Brünn erschienen ist.

Im Versklang meiner frühen und späten Gedichte läuten die Glocken des Veitsdomes.

 

Zum Aufsatz Ist das Werk des Prager Dichters Paul Leppin noch relevant im 21. Jahrhundert? von Dierk Hoffmann.

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